Vom Zauber des Augenblicks

Wann haben wir uns zum letzten Mal in den Bann ziehen lassen von einem Tautropfen? Wann haben wir uns zum letzten Mal über die kleinen Wunder der Natur erfreut? Über den herben Duft von frischem Thymian, die beeindruckende Baumsilhouette im Gegenlicht der Morgendämmerung? Über das stürmische Rauschen des Windes, den zartbitteren Geschmack von frischem Spargel- oder der filigranen Schönheit einer Grasrispe?


Viel eher geht es uns doch so, dass wir uns plötzlich fragen, wo wir die Schlüssel wohl hingelegt haben? Habe ich die Haustüre abgeschlossen, die Herdplatte ausgeschaltet, das Mail geschrieben? Häufig erledigen wir Dinge und sind in Gedanken ganz woanders. Die täglichen Arbeitsabläufe sind so automatisiert, dass unser Unterbewusstsein sie steuert. Dadurch können wir in Gedanken bereits bei unserem nächsten Auftrag, bei der letzten Mittteilung auf dem Smartphone, bei der gestrigen Diskussion sein und gleichzeitig etwas ganz Anderes erledigen. Bei routinemässigen Arbeiten schweifen unsere Gedanken oft in die Zukunft (Wie sieht mein Tagesprogramm morgen aus?) oder in die Vergangenheit (Das war ein tolles Erlebnis gestern!). Unser Unterbewusstsein entlastet uns dadurch enorm. Wie anstrengend wäre es doch, wenn wir uns auf jede Bewegung konzentrieren müssten, da wäre bereits das Gehen eine riesige Herausforderung. Doch das birgt auch die grosse Gefahr, dass wir uns dauernd in einem Gedankenkarussell befinden und nicht im Hier und Jetzt sind. Zusammen mit der Neigung, gleichzeitig mehrere Dinge zu erledigen, führt dies häufig bewusst oder unbewusst zu Stress.


Achtsamkeit kann uns dabei helfen fokussierter und entspannter zu sein.


Achtsamkeit ist ein grosses Wort. Im Internet finden wir unzählige spannende Artikel, tolle Videoanleitungen und wissenschaftliche Erkenntnisse dazu. Achtsamkeit ist die Kunst, mit allen Sinnen im Hier und Jetzt zu sein. Dazu gibt es eine Fülle von Achtsamkeitsübungen. Wir können sie aber auch in den Alltag integrieren und beispielsweise einen Apfel achtsam essen. Probieren wir es aus:

Intro Image

Achtsamkeitsübung oder wie ich einen Apfel mit allen Sinnen geniessen kann


Suche dir einen ruhigen Ort und konzentriere dich voll und ganz auf dein Tun.

Sehen

Schau dir den Apfel genau an. Welche Farbschattierungen hat er? Welche Form hat er? Glänzt er, oder ist er matt? Wie sieht sein Stiel aus? Ist seine Oberfläche glatt, rau oder schrumpelig?

Fühlen

Schliesse die Augen. Wie fühlt sich der Apfel an? Wie gross ist der Apfel? Passt er in deine Hand? Wie schwer ist der Apfel? Ist er warm oder kalt?

Riechen

Lass deine Augen geschlossen und rieche am Apfel. Welche Gerüche kannst du wahrnehmen?

Schmecken

Beiss nun in den Apfel und kaue langsam. Wie ist die Konsistenz des Apfels? Wie fühlt er sich im Mund an? Fühlst du den Saft, der aus dem Apfel austritt? Ist er süss oder sauer? Findest du weitere Geschmacksnuancen? Wie fühlt es sich beim Hinunterschlucken an? Wie riecht jetzt der Apfel? Hat sich der Geruch durch das Anbeissen verändert?

Hören

Beiss bewusst wieder in den Apfel und lass die Augen weiterhin geschlossen. Was hörst du beim Reinbeissen? Wie hört es sich beim Kauen an?

Geniesse den Apfel in vollen Zügen und mit allen Sinnen. Schenk dir so einen Moment der Achtsamkeit und lasse dich vom Zauber dieses Augenblicks faszinieren.

Wenn es uns gelingt, im Alltag kleine Inseln der Achtsamkeit einzubauen, so schenken wir uns damit kleine Momente der Erholung. Achtsamkeit geht immer und überall. Beim Duschen, bei der Gartenarbeit, beim Rüebli schälen usw. Es gilt, dabei im Hier und Jetzt zu sein und nichts Anderes zu tun ausser das, was wir eben gerade tun, dies aber mit voller Aufmerksamkeit und mit allen Sinnen. Wenn unsere Gedanken dabei abschweifen, so holen wir sie einfach wieder in den Moment zurück. Das hört sich einfach an, ist es häufig aber gar nicht.

Wenn es mir gelingt, meine Aufmerksamkeit auf den jetzigen Moment zu fokussieren und ich beispielsweise beim Hinlegen der Schlüssel laut zu mir sage: «Ich legen den Schlüssel hier in die oberste Schublade» so werde ich mich auch später daran erinnern. Dann bin ich in diesem Moment mit meinen Gedanken voll und ganz bei meinem Schlüssel und werde deshalb danach auch noch genau wissen, wo er sich befindet.

Vielleicht gelingt es uns auch ab und zu, mit Achtsamkeit die Wunder der Natur im Detail zu bestaunen und für einen kurzen Moment den Alltag auszublenden.

Geniessen wir doch den Zauber des Augenblicks, vielleicht ist es ja ab und zu auch ein Stück geschenkte Zeit. Vielleicht denken wir daran, wenn wir das nächste Mal warten müssen, beim Bahnübergang, beim Fussgängerstreifen oder wo auch immer. Statt das Smartphone zur Hand zu nehmen, können wir einmal versuchen achtsam zu atmen.

Tief einatmen, uns voll und ganz auf das Atmen konzentrieren. Wahrnehmen wie sich unsere Lunge ganz mit Luft füllt. Wie die kühle Luft durch unsere Nase einströmt, sich unser Brustkasten ausdehnt und wie die erwärmte Luft unseren Körper wieder verlässt.


Der Zauber des Augenblicks ist immer und überall. Schön, wenn es gelingt, uns ab und zu davon in den Bann ziehen zu lassen.

Bild und Text: Margret Brönnimann  INFORAMA Berner Oberland